Charakterisierung von Nahtodeserlebnissen mittels Textmininganalysen: Eine vorläufige Studie.
|
Charakterisierung von Nahtodeserlebnissen mittels Textmininganalysen: Eine vorläufige Studie. Vanessa Charland-Verville, Demetrius Ribeiro de Paula, Charlotte Martial, Helena Cassol, Georgios Antonopoulos, Blaine Alexander Chronik, Andrea Soddu, Steven Laureys. 2Plos One. 2020, 15(1): e0227402. (ins Deutsche übersetzt von Simone)
Charakterisierung von Nahtodeserlebnissen mittels Textmininganalyse: Eine vorläufige Studie
Charakterisierung von Nahtodeserlebnissen mittels Textmininganalyse: Eine vorläufige Studie
Abstract
ABSTRACT: Die Vorstellung, dass der Tod einen Übergang in ein jenseitiges Leben darstellt, wo wir mit geliebten Menschen wieder vereint sein werden und in einem utopischen Paradies in Ewigkeit leben, findet sich häufig in Berichten von Menschen, die ein «Nahtodeserlebnis» (NTE) erlebt haben. NTE werden häufig in den Medien behandelt, aber empirische Studien dazu sind eher neu. Die Definition des Phänomens wie auch das Identifizieren von Nahtodeserlebenden sind immer noch Anlass für heisse Diskussionen. Bis jetzt wurden NTE in Studien immer noch über einzelne Antworten in Fragebögen identifiziert und beschrieben. Allerdings kann der Inhalt von Fragebögen einschränkend und von persönlichen Interpretationen gefärbt sein. Wir glauben, dass zusätzlich zu ihrem Gebrauch auch benutzerunabhängige statistische Textüberprüfungen von frei ausgedrückten NTE-Erzählungen von vorrangiger Wichtigkeit ist, um der Phänomenologie einer so subjektiven und komplexen Erscheinung gerecht zu werden. Zu diesem Zweck suchten wir 158 Teilnehmer aus, die rückblickend in eigenen Worten von NTE erzählten, und deren Erzählungen wir mit einer automatisierten Text-Mining-Methode analysierten. Das Ergebnis offenbarte die durch Nahtodeserlebende meistverwendeten Wörter. In einem zweiten Schritt wurde eine hierarchische Clusteringanalyse durchgeführt, um die Beziehungen zwischen diesen Wörtern aufzuzeigen. Dies offenbarte drei Hauptcluster von Eigenschaften: Visuelle Wahrnehmungen, Gefühle und Räumliche Komponenten. Wir glauben, dass der benutzerunabhängige und datengesteuerte Textmining-Ansatz, der in dieser Studie zum Einsatz kam, sehr vielversprechend ist, indem er dazu beiträgt, eine strenge Beschreibung und Definition von NTEs zu erstellen.
Figures
Siehe Originalpapier
Zitat: Charland-Verville V, Ribeiro de Paula D, Martial C, Cassol H, Antonopoulos G, Chronik BA, et al. (2020) Characterization of near death experiences using text mining analyses: A preliminary study. PLoS ONE 15(1): e0227402. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402
Herausgeber: Diego Raphael Amancio, University of Sao Paulo, Brasilien
Erhalten: 8. August 2017; Akzeptiert: 18. Dezember 2019; Publiziert: 30. January 2020
Copyright: © 2020 Charland-Verville et al. Dies ist ein öffentlich zugänglicher Artikel, der unter den Bedingungen der Creative Commons Attribution License zur Verfügung gestellt wird, welche uneingeschränkte Verwendung, Weiterverbreitung und Reproduzierung mittels aller Medien erlaubt unter der Bedingung, dass die ursprünglichen Autoren und Quellen genannt werden.
Erhältlichkeit der Daten: Alle relevanten Daten sind im Papier und seinen Dateien unter Zusätzliche Informationen zu finden.
Förderung: Diese Forschung wurde unterstützt durch den Belgischen Fond für Wissenschaftliche Forschung (FRS-FNRS), die NSERC des Kanada Discovery-Stipendiums, die Europäische Union, Luminous, TBI-Center, das Human Brain Project, die James McDonell-Stiftung, die European Space Agency, Belspo, die “Fondazione Europea di Ricerca Biomedica”, die BIAL-Stiftung, die Wallonia-Brussels Federation Concerted Research Action and Mind Science Stiftung.
Konkurrierende Interessen: Die Autoren haben erklärt, dass keine konkurrierenden Interessen bestehen.
Einführung
Nahtodes-Erlebnisse (NTE) werden vermehrt beschrieben als klar eine identifizierbare physiologische und psychologische Realität von klinischer und wissenschaftlicher Bedeutung [1]. NTE können definiert werden als eine Reihe von mentalen Ereignissen, inklusive hochemotionalen, selbstbezogenen, mystischen und spirituellen Aspekten, die in einem Zustand erhöhter Bewusstheit klassischerweise auftreten im Zusammenhang mit einer lebensbedrohlichen Verfassung (wie zum Beispiel Herzstillstand, Trauma, Komplikationen während einer Operation, Beinahe-Ertrinken oder -Ersticken, Beinahe-Tod durch Stromschlag oder versuchtem Selbstmord) [2–4]. Ausserdem werden NTE klassischerweise in Verbindung gebracht mit positiven Emotionen wie Friede, Wohlsein, Glück und Freude. Bislang wurden nur wenige NTE dokumentiert, die negative Emotionen enthalten. [5,6].
Die Definition, die Ursachen, wie auch die Identifikation von NTErlebenden (also Leuten, die von einem NTE berichten) sind immer noch Gegenstand von Diskussionen. Das Phänomen wurde ausführlich von den Medien porträtiert, aber die Wissenschaft von NTE ist eher neu, und es fehlt ihr an harten experimentellen Daten und reproduzierbaren kontrollierten Experimenten. Es scheint, dass die angemessensten Theorien für das Auftreten einer NTE dazu tendieren, sowohl psychologische als auch neurobiologische Mechanismen zur Erklärung heranzuziehen. Die paradoxe Dissoziation zwischen der Fülle und der Intensität der Erinnerung an ein Erlebnis, das wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt einer Hirnfunktionsstörung auftrat, bietet eine einzigartige Gelegenheit, die neuronalen Korrelate des Bewusstseins zu verstehen [7].
Seit das Phänomen in den späten 70er-Jahren populär wurde, sind NTE meist über Fragebögen identifiziert und beschrieben worden – und dies besonders über die Greyson NTE-Skala [8]. Die Skala war ursprünglich konstruiert worden, indem man 80 Merkmale aus der bestehenden NTE-Literatur ausgewählt hat und später die Anzahl Merkmale zu einem schliesslich validierten [8,9] Multiple-Choice-Werkzeug mit 16 Elementen reduziert hat, um die Intensität einer NTE zu quantifizieren (das heisst mit einem Punktesystem von 0 bis 32 Punkten) und zur Beurteilung der inhaltlichen Kernkomponenten von 16 NTE-Merkmalen (siehe S1 Tabelle). Für jedes Merkmal sind die Punkte auf einer ordinalen Skala von 0 bis 2 aufgereiht, (dabei bedeutet 0 = nicht vorhanden, 1 = schwach oder nicht eindeutig vorhanden, 2 = klar vorhanden[8,9]). Gemäss der Skala qualifiziert sich eine Person mit einer Gesamtpunktzahl von 7 oder höher bei einer Höchstzahl von 32 Punkten als Nahtodeserlebende [8]. Mit Hilfe dieser Skala konnten Untersuchungen von NTE die am häufigsten erwähnten Merkmale identifizieren: Ein Gefühl des Friedens, die Ausserkörpererfahrung, das Sehen eines hellen Lichts, wachsames Zeitempfinden [4,10–16].
Obwohl die Verwendung von standardisierten Fragebögen für die empirische Untersuchung eines solch subjektiven Phänomens von entscheidender Bedeutung ist, könnte deren alleinige Verwendung den Nachteil mit sich bringen, dass sie nur eine eingeschränkte Auswahl an Möglichkeiten zur Bewertung der Erfahrung bieten. Um ihr Ziel zu vervollständigen, beabsichtigt die NTE-Forschung jetzt, das Rohmaterial, also NTE-Erzählungen aus erster Hand, gründlichen Analysen zu unterziehen. Bis jetzt haben nur eine Handvoll Untersuchungen versucht, den Inhalt von NTE-Berichten anhand von Textanalysen zu bewerten. Die meisten haben dabei qualitative Methoden verwendet. Hou et al. (2013) zum Beispiel haben Interview-Transkripte mit einem den Einzelfall beschreibenden Ansatz bei Patienten mit posttraumatischen Hirnschädigungen ausgewertet. Dafür analysierte ein Forscher ein Interview-Transkript im Detail, bevor er die gesamte Stichprobe im Vergleich zu dem auswertete, was im ersten Transkript hervorgehoben wurde. Ihre Ergebnisse zeigten vier Hauptthemen auf: Das Sehen von Licht, intensive Gefühle von Wohlbefinden, Erstaunen und Angst, ein Gefühl der Hilflosigkeit und der übernatürliche Aspekt der Erfahrung [16]. Kürzlich verwendeten Martial et al. [17] die qualitative Textanalyse, um die mögliche Chronologie von NTE-Elementen in selbstberichteten schriftlichen Erzählungen zu untersuchen. Sie haben die am häufigsten berichtete Sequenz herausgefiltert: Die Ausserkörpererfahrung, gefolgt von der Erfahrung eines Tunnels, das Sehen eines hellen Lichts, und schliesslich das Gefühl tiefen Friedens. Allerdings beobachteten sie, dass diese Reihenfolge nur bei einer sehr begrenzten Anzahl von Nahtoderlebenden auftrat, was darauf hindeutet, dass in ihrer Stichprobe kein «universelles» Muster erkennbar zu sein scheint [17]. Zusätzlich verwendeten Cassol et al. [18] die qualitative thematische Analyse und konnten so im Ganzen 11 grosse Themen in geschriebenen NTE-Berichten identifizieren. Sie beinhalteten «zeitgebundene» Themen (das heisst, Themen, die eine zeitlich eher begrenzte Dauer haben und generell beschrieben werden als klar isoliertes Ereignis) wie Licht, Rückkehr, Treffen/Begegnung, Beschreibung von Szenen, Dunkelheit und Ausserkörpererfahrung, und ein verändertes Empfinden von Zeit als ein «transversales» Thema (also ein Thema, das rückblickend diskutiert wird, wenn die Person ihr NTE reflektiert) [18]. Zusätzlich zum qualitativen Ansatz und auch, um mögliche Verzerrungen durch menschliche Beobachtungen und allfälliges Vorwissen der Forschenden in Bezug auf NTE zu vermeiden, werden auch automatisierte quantitative Textanalysen durchgeführt. Lange, Greyson & Houran [19] untersuchten den Inhalt von Nahtoderfahrungsberichten mit Hilfe eines quantitativen Paradigmas der latenten semantischen Analyse (d.h. der Bestimmung der semantischen Ähnlichkeiten zwischen den Erzählungen), mit dem Ziel, die Struktur der Erzählungen und eine mögliche Hierarchie der berichteten Merkmale zu untersuchen. Ihre Ergebnisse zeigen auf, dass die NTE-Berichte hochgradig strukturiert sind und sieben Hauptcluster enthalten. Die Mehrheit der Cluster bezogen sich auf transzendente oder paranormale Themen (wie zum Beispiel Engel, Gott, Kirche, schweben, Stimme), während die anderen Cluster sich auf physiologische oder Umgebungselemente bezogen (zum Beispiel Schmerz, Bett, Schulter, bequem, Tür). Sie zeigten ausserdem auf, dass die Intensität des NTE (basierend auf der Gesamtpunktezahl der Greyson NTE-Skala) aus den schriftlichen Erzählungen vorhergesagt werden konnte [19]. Die latent semantische Analyse wurde ausserdem genutzt, um die semantischen Ähnlichkeiten zu bewerten zwischen NTE-Berichten und Berichten über veränderte Bewusstseinszustände, die durch Drogen ausgelöst wurden. Dabei zeigte sich, dass der N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor-Antagonist Ketamin zu Berichten führte, die denen von Nahtoderfahrungen äusserst ähnlich waren [20]. Aus unserer Sicht sind die automatisierten quantitativen Textanalysetechniken sehr vielversprechend für unser Ziel, ein so subjektives Phänomen zu untersuchen. Daher schlagen wir in dieser vorläufigen Arbeit die Textmining-Analyse vor, die den zusätzlichen Nutzen hat, dass sie Open Source ist, benutzerunabhängig und datenbasiert, und deshalb frei von vorherbestimmten Konzepten. Textmining ist der Prozess des Durchkämmens unzähliger Seiten in digitalisiert einfacher Sprache, um nützliche Informationen zu finden, die sich unsichtbar gemacht haben [21]. Textmining bietet die Gelegenheit, Verbindungen und Ausdruckmuster in Erzählungen zu finden, welche durch Stichwortsuche und andere algorithmische Formen nicht entdeckt werden könnten [22]. Die Technik erlaubt ausserdem, die Darstellung der statistischen Stärke der Verbindungen zwischen den Wörtern zu clustern und in 2D zu visualisieren. Erlebnisse aus erster Hand wie NTE sind per Definition äusserst subjektives Material. Deshalb können die Struktur der Erzählung und die Verschiedenheit der benutzten Wörter Schwierigkeiten verursachen beim Herausfiltern dessen, was wichtig ist, in einer standardisierten Verarbeitung und Terminologie [23]. Anders als bei klassischer quantitativer Analyse wird Textmining eingesetzt, um nützliche Information über die Identifikation und Erforschung von Mustern aus einer Textsammlung unstrukturierter Erzählungen zu ziehen [21,22]. Mit diesem vorläufigen Ansatz, ausschliesslich datengesteuerte Techniken einzusetzen bei frei ausgedrückten NTE, wollen wir 1) die Hauptelemente untersuchen (zum Beispiel Wortelemente), die von Erlebenden berichtet werden und sie mit der existierenden Literatur vergleichen und 2) eine Landkarte aufstellen, die aus den räumlichen Verbindungen oder dem gleichzeitigen Auftreten der am häufigsten genannten Elemente besteht.
Materialien & Methoden
Teilnehmende wurden rekrutiert über die Website, die Publikationen und die Auftritte in den Medien der Coma Science Group (GIGA Consciousness, Universität Lüttich, Belgien). Nachdem wir mit dem Forschungsteam Kontakt aufgenommen hatten, wurde den Teilnehmenden das Umfragedokument geschickt. Es bestand aus drei Teilen: Erst einmal aus einem demografischen Fragebogen (Alter zum Zeitpunkt des NTE, Geschlecht, Zeit seit dem NTE und klinische Daten (Zeit seit dem NTE, medizinischer Zusammenhang, in welchem sich das NTE ereignete, Ätiologie des Komas (anoxisch/ traumatisch/ andere/ keine medizinische Ursache) und das Vorhandensein eines lebensbedrohlichen Ereignisses (also akutes Koma, eine Phase der Bewusstlosigkeit > 1h; [24]) oder nicht (also medizinische Ursache oder keine medizinische Ursache ohne Koma)); zweitens eine standardisierte Identifikation und Qualifikation von NTE mittels der Greyson NTE-Skala [8]. Teilnehmende, deren Erfahrung nicht den für ein NTE bestimmten Mindestwert erreichten, um als NTErlebende anerkannt zu werden, (also jene, die einen Greyson-Gesamtwert ≥7 erreichten; Greyson 1983) wurden aus der Studie ausgeschlossen. Schliesslich beinhaltete der dritte Teil der Umfrage eine offene Anweisung an die Teilnehmenden, (im Sinne von «Bitte verwenden Sie so viel Raum wie Sie wollen, um uns Ihr NTE mitzuteilen») damit sie rückblickend ihre Erfahrung frei zum Ausdruck bringen würden. Zwei spezifische Anforderungen wurden an die Selbsterzählung gestellt: Sie sollte a) von den Teilnehmenden selbst verfasst und b) im Hinblick auf den Kontext des Auftretens und auf alle Wahrnehmungen hin beschrieben sein. Es gab keine Einschränkung bezüglich der Länge der geschriebenen Erzählung. Wie in jeder Untersuchung, die mit rückblickend selbst beschriebenen phänomenologischen Berichten arbeitet [17,18,25,26], ist es eine Herausforderung, die Verlässlichkeit der Erzählungen einzuschätzen, einerseits bezüglich des Wohlwollens der Teilnehmenden und andererseits bezüglich der möglichen Verzerrungen, die im Laufe der Zeit auftreten können [27]. Um allfällige Diskrepanzen diesbezüglich aufzuspüren, durchforsteten die Forschenden die ausgefüllten Fragebogen sorgfältig (inklusive Antworten auf demografische Fragen und Fragen zum Kontext des Auftretens wie auch die punkte-gebenden Posten in der Greyson NTE-Skala [8]) und brachten die Zeugnisse in Verbindung mit den NTE-Erzählungen, um ihre Verlässlichkeit einzuschätzen. Danach erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die Aussagen der Teilnehmenden durch Konfabulation oder eingebildete Phänomenologie beeinflusst wurden. In Wirklichkeit war unsere Auswahl an NTE-Erzählungen klar strukturiert und detailreich und mit reichhaltigen emotionalen Komponenten versehen. Es war freiwillig, die anonyme Umfrage schriftlich zu ergänzen und dies wurde gewertet als Einverständis zur Teilnahme an der Studie. Die Untersuchung wurde von der Ethikkommission der medizinischen Fakultät der Universität Lüttich genehmigt.
Die Textmining-Analyse erfolgte in mehreren Schritten, hauptsächlich beeinflusst durch die Tatsache, dass Texte aus der Perspektive des Computers eine ziemlich unstrukturierte Ansammlung von Wörtern sind. Wir ordneten und strukturierten die Texte also erst einmal auf gleiche Weise um. Als die Texte dann in einer Ablage organisiert waren, bestand der zweite Schritt darin, die Texte nach einer Vorverarbeitung zu ordnen, um eine geeignete Darstellung für die Analyse zu erhalten. Der dritte Schritt bestand darin, die vorverarbeiteten Texte in ein strukturiertes Format zu bringen, in dem wir eine so genannte Begriff-Dokument-Matrix erstellten. Schliesslich wurden Standardtechniken der Statistik und der Datengewinnung angewendet, inklusive Zählung der Häufigkeit und nachträgliches Clustern. Jeder einzelne der folgenden Schritte ist schematisch dargestellt in Abb 1und wird unten beschrieben
Download: Siehe Originalpapier
original image
Abb 1. Überblick des Textklassifizierungsablaufs für die Charakterisierung von NTE-Erzählungen.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402.g001
Die Datenvorverarbeitung wurde durchgeführt mittels R -Statistischer Computersprache (Version 3.4) unter Verwendung des Textmining-Pakets tm (Version 0.7; https://CRAN.R-project.org/package=tm [28] um: a) die Satzzeichen und spezielle Buchstaben zu beseitigen; b) Zahlen zu beseitigen, c) in Kleinschreibung umzuwandeln; d) die «Stopp-Wörter» ohne analytischen Wert zu beseitigen; e) unnötigen weissen Raum aus Dokumenten zu entfernen; f) Wörter zu entfernen, die der Analyse keinen «Sinn» beifügen; und g) Clustersynonyme
Vor der Analyse erstellten wir die Begriff-Dokument-Matrix. Ausgehend von einer Sammlung von Dokumenten und einem Wörterbuch von Begriffen, das alle Wörter enthält, die in den Dokumenten vorkommen, wurde die Begriff-Dokument-Matrix in Form einer zweidimensionalen Matrix ermittelt. Reihen wurden gefüllt mit den Begriffen (Wörtern) mit Kolonnen, die auf die verschiedenen Dokumente verwiesen, so dass jeder Eintrag (i,j) die Häufigkeit eines Begriffes i im Dokument j repräsentierte 29–31]. Eine einfache Distanzanalyse wurde anschliessend auf die Begriff-Dokument-Matrix angewendet (siehe S2 Tabelle).
Bevor wir das hierarchische Clustering ausführten, berechneten wir Ähnlichkeiten zwischen jedem Paar von Wörtern, was auch als die Distanz bezeichnet wird. Wir massen die Euklidische Distanz um die Verschiedenheit zwischen Wörtern zu messen. Indem wir annahmen, dass jedes Wort ein Punkt im n-Raum war(wobei n die Anzahl von Dokumenten sei), wurde die Distanz zwischen zwei Wörtern (Wort X und Y) mit Koordinaten (Begriffhäufigkeit) ) (x1,x2, …xn) und (y1,y2, …yn), berechnet als die Euklidische Distanz zwischen zwei Punkten wie gegeben durch:
Die Gleichung wurde benutzt, um unsere Distanzmatrix zu erstellen, wie es auch beschrieben ist in [32,33]. Wie in Maher et al., (2016) berichtet wird, wird die Euklidische Distanz breit angewendet bei Clusterproblemen, inklusive Text-Clustering, und er ist auch das Standard-Abstandsmass, das mit dem K-Mittel-Algorithmus verwendet wird [34]. Siehe auch [35] um die Euklidische Distanz mit anderen möglichen Distanzmassen wie Cosine und Jaccard bei Anwendung der K-Mittel-Clusteringtechnik zu vergleichen. Die Distanzmatrix wurde daraufhin verwendet, um ein Dendrogramm herzustellen, in dem eine hierarchische Beziehung zwischen den Begriffen (Wörtern) dargestellt wird. Bei einer Menge von N Elementen, die gruppiert werden sollen und einer N*N Distanz- (oder Ähnlichkeits-)Matrix folgten wir dem grundlegenden Prozess des hierarchischen Clusters, wie er von Johnson et al. [31] definiert wurde. Erstens begannen wir damit, jedem Element einen Cluster zuzuschreiben, so dass wir beispielsweise für N Elemente anfangs auch N Cluster annehmen konnten, wobei jeder Cluster nur ein Element enthielt. Zweitens legten wir die Distanzen (Ähnlichkeiten) zwischen den Clustern fest als gleich wie die Distanzen (Ähnlichkeiten) zwischen den Elementen, die sie enthielten. Drittens suchten wir das nächstgelegene (ähnlichste)Paar von Clustern und fassten es in einen einzigen Cluster zusammen, um einen Cluster weniger zu haben. Viertens berechneten wir die Distanzen (Ähnlichkeiten) zwischen dem neuen Cluster und jedem vorherigen Cluster. Fünftens wiederholten wir den zweiten und dritten Schritt, bis alle Elemente in einem einzigen Cluster der Grösse N gruppiert waren.
Die hclust Funktion, eine komplette Verbindungsmethode, die auch die Diameter- oder Maximum-Methode genannt wird, wie sie in R eingebaut ist, wurde für unsere Analyse benutzt, um ein hierarchisches Clustering auszuführen. Diese Clustering-Methode definiert die Clusterdistanz zwischen zwei Clustern als die Maximaldistanz zwischen ihren jeweiligen Bestandteilen[31,36]. Das bedeutet, dass in jedem Stadium des Clusteringprozesses die beiden sich am nächsten stehenden Cluster zu einem neuen Cluster zusammengefasst wurden. Dieser Prozess wurde wiederholt, bis der ganze Datensatz in einem einzelnen Cluster angesiedelt war. Die Distanz zwischen zwei Cluster wurde schliesslich berechnet über die Lance-Williams-Update-Formel [37].
Resultate
Tabelle 1 zeigt die demografischen Eigenheiten der Studienkohorte, die rekrutiert wurde für die NTE-Rückblickserzählung (N = 158; 83 weiblich (53%); Alter bei NTE 35±17 J; Zeit seit dem NTE 21±14J). Das NTE fand statt in verschiedenen Umständen, die lebensbedrohlich waren (das heisst, mit Koma; n = 54; 34%) oder nicht (also kein Koma; n = 104; 66%). Die medizinischen Ursachen mit oder ohne eine komatöse Periode schlossen Ätiologien wie Sauerstoffmangel (z.B. Herzstillstand, Beinahe-Ertrinken), Trauma (z.B. Motorradunfall, Stürze), andere medizinische Ursachen (z.B. nicht-traumatische Umstände wie eine Verschlimmerung einer vorhandenen Krankheit, Komplikationen während einer Operation) und andere nicht-medizinische Gründe (z.B. nicht-traumatische und nicht-lebensbedrohliche Umstände wie während des Schlafs oder ohne erkennbare Ursache) ein.
Download: Siehe Originalpapier
original image
Tabelle 1. Demografische Daten der Stichprobe und Umstände des Auftretens von NTEs (N = 158).
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402.t001
Wenn die Personen mehr als ein NTE erlebten, wurden sie aufgefordert, das für sie wichtigste auszuwählen. Die mittlere Länge der Erzählungen war 140 Wörter pro Text (Bandbreite zwischen 13 und 1592). Die ausgeführten Analysen erlaubten uns, 30 am häufigsten berichtete Merkmale herauszulesen, Merkmale, die dann dazu benutzt wurden, um eine visuelle statistische Karte zu zeichnen über ihren Zusammenhang. Abb 2 zeigt die 30 meist genannten Merkmale/Wörter gemäss unserer Analyse.
Download: Siehe Originalpapier
original image
Abb 2. Die 30 häufigsten Wörter/Merkmale in den Erzählungen der Dokumente/der Erlebenden (N = 158).
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402.g002
Abb 3 stellt die Clusteringkarte (also das Dendrogramm) dieser 30 am häufigsten genannten Wörter in drei Hauptcluster dar. Das Dendrogramm ist ein grafisches Ergebnis der hierarchischen Cluster. Unsere Analysen zeigen, dass drei Hauptcluster hervorstechen. Der erste Cluster enthält die Worte ‘sehen’ und ‘Licht’. Dieser Cluster ist eng verbunden mit der zweiten Gruppierung, die Wörter wie ‘gut’ und ‘Körper’ enthalten und der dritte und letzte Cluster enthält Wörter wie ‘Stimme’, ‘Tunnel’, ‘Empfindungen’ und ‘Augen’. Bewegt man sich auf der horizontalen Achse von links nach rechts, kann man beobachten, dass die Wörter des ersten Clusters in abnehmendem Masse von den anderen Wörtern getrennt sind. In der vertikalen Achse zeigt die Skala das Clustering-Gewicht, also die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Clustern. Mit anderen Worten, ‘sehen’ und ‘Licht’ erscheinen häufiger zusammen mit ‘gut’ und ‘Liebe’ als mit ‘tot’ und ‘Angst’ in unseren ausgewählten NTE-Zeugnissen. Das heisst, visuelle Wahrnehmungseigenschaften (zum Beispiel ‘sehen’, ‘Licht’, ‘weiss’, erster Cluster) scheinen näher bei positiven Emotionen zu sein (zum Beispiel ‘gut’, ‘love’) als bei Raumkomponenten (zum Beispiel ‘Tunnel’, ‘Bett’, ‘Raum’) und Wörtern mit visueller Verbindung (zum Beispiel ‘Tunnel’, ‘Augen’) des zweiten Clusters. Es kann beobachtet werden, dass der emotionale Ton des zweiten Clusters weniger positiv scheint. (zum Beispiel ‘schwarz’, ‘Angst’, ‘Tod’).
Download: Siehe Originalpapier
original image
Fig 3. Dendrogramm das die hierarchische Clusterung der am häufigsten berichteten Wörter darstellt (n = 30).
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402.g003
Diskussion
Das erste Ziel dieser Voruntersuchung mit Hilfe eines Textmining-Ansatzes war es, die Hauptmerkmale (d.h. Wortelemente) von frei geäusserten schriftlichen NTEs zu identifizieren. Abb 2 zeigt die 30 am häufigsten genannten Wörter, die aus 158 Erzählungen erfasst worden sind. Wir können viele Ähnlichkeiten erkennen zwischen den Eigenschaften die zuvor in der Literatur mittels der Greyson-NTE-Skala [8] identifiziert wurden (d.h. Gefühle des Friedens/ des Wohlbefinden, Ausserkörpererfahrung, das Sehen eines hellen Lichts, eine veränderte Zeitwahrnehmung [4,10–16]) und dem, was in dieser Studie mittels Textmining extrahiert wurde (d.h. sehen, Licht, Körper, Zeit, Stimme). Überdies enthüllte unsere Studie Eigenschaften, die übereinstimmend sind mit den Themen, die über die thematisch-qualitativen Analysen [18] identifiziert wurden (d.h. Licht, Dunkelheit, Tunnel, Beschreibung von Szenen, Ausserkörpererfahrung, das Bewusstsein, tot zu sein, Zeitwahrnehmung). Zusätzlich hat die Textmining-Analyse noch zusätzliche Eigenschaften eingebracht, die nicht Teil der Greyson-NTE-Skala sind wie der Tunnel (35%), Liebe (30%) und Angst (24%, Abb 2 & S2 Tabelle). Manche Autoren haben argumentiert, dass die Tunnelwahrnehmung in NTE ein kulturabhängiges Phänomen seien [38]. Im Vergleich mit den rückblickenden NTE-Erzählungen vor und nachdem Moody Nahtodeserfahrungen in seinem Bestseller populär gemacht hatte, wurde deutlich, dass das Tunnelelement deutlich häufiger auftauchte in NTE, die nach 1975 berichtet wurden als zuvor. Das legt den Schluss nahe, dass das NTE-Modell, das Moody beschrieb, die Wahrnehmung eines Tunnels beeinflusst hat [40]. Zusätzlich haben manche Autoren argumentiert, dass Nahtodeserlebnisse nicht universell seien bezüglich ihres Inhalts [38,40,41]. Es wäre interessant, diese Technik zu nutzen, um die gesellschaftlichen und kulturellen Einflüsse auf NTE weiter zu erforschen – angesichts der Tatsache, wie verschieden die Hintergründe und Zeitepochen sind, aus denen Leute ihre NDE beschreiben. Das zweithäufigste Wort/Merkmal, das unsere Analyse hervorhob, war Liebe. Tatsächlich erinnert sich eine beträchtliche Anzahl von interviewten NTErlebenden an ein Gefühl von bedingungsloser Liebe, wenn sie sich auf das Licht zu bewegen und/oder wenn sie einem mystischen Wesen oder einer Präsenz begegnen. (zB. [42–44]). Liebe scheint eine zentrale Eigenschaft in der Erfahrung und für die langanhaltenden emotionalen Stimmung zu sein. In der NTE-Literatur wird die Eigenschaft Liebe auch diskutiert als eine Nachwirkung der Erfahrung. Es scheint bei der Mehrheit der NTErlebenden so zu sein, dass die Erfahrung zur Fähigkeit führen kann, bedingungslose Liebe auszudrücken und zu fühlen, wie auch materielle Wertvorstellungen und die Angst vor dem Tod zu verlieren[45]. Gemäss dem Lebensveränderungsinventar – einer Skala, die entwickelt wurde, um das Selbstbild, die Sorge um andere, Materialismus und soziale Themen, Religiosität und Spiritualität und die Haltung gegenüber dem Tod zu erfassen [6,46] – zeigte sich, dass Patienten mit Herzstillstand nach einer NTE signifikant öfter von einer liebevollen und einfühlsamen Haltung berichteten nach einer Nachfolgebefragung zwei Jahre später [3]. Das dritthäufigst genannte Element ‘Angst’ ist interessant, weil es normalerweise nicht mit einem NTE assoziiert wird [4,11,14]. Bis jetzt wurden erst wenige NTE mit negativen Emotionen dokumentiert [6]. Bis jetzt wird geschätzt, dass nur ungefähr 2-2% der rückblickend gesammelten Berichte von negativen oder beängstigenden NTE berichten[4,6]. Diese Art NTE sind möglicherweise unterschätzt durch die Abneigung der Personen, die sie erlebt haben, darüber zu sprechen, da sie ja möglicherweise traumatisierende Elemente enthielten [6]. Ausserdem ist es interessant, zu erwähnen, dass die Greyson NTE-Skala [8] keine Möglichkeit bietet, negativ besetzte Aspekte der Erfahrung zu erfassen, wie das auch schon Greyson und Bush (1992) feststellten. Es ist ausserdem möglich, dass NTE sowohl negative/beängstigende wie auch positive/friedvolle Gefühle im gleichen Erlebnis enthalten. Zum Beispiel haben manche NTErlebende zuvor berichtet, dass sie ein vorübergehendes Gefühl von Angst hatten, dass schliesslich einem Gefühl von Ruhe Platz machte, als die Erfahrung sich weiterentwickelte [47]. Zudem wurde kürzlich beobachtet, dass der räumliche Ort der erworbenen Hirnschädigung, die das Trauma oder die Bewusstlosigkeit verursachte und das NTE auslöste, potenziell einen Einfluss auf die Gefühlstonalität der Erfahrung haben könnte[5]. Tatsache ist, dass Personen mit infratentorieller Läsur (das heisst, einer Läsur, welche die Hirnstammregion und ihre Verbindungen betraf), in der Tendenz weniger positive Elemente nannten, wenn sie mittels der Greyson NTE-Skala über ihr NTE befragt wurden [2,8]. Obwohl frühere Studien darauf hindeuten, dass das Erleben einer NTE während eines lebensbedrohlichen Ereignisses einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden der Patienten haben und psychologischen Disstress verringern könnte [43], könnte ein NTE, das aus weniger positiven oder gar negativen Gefühlen besteht, möglicherweise zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen und eine geringere Lebensqualität nach dem Ereignis zur Folge haben. In solchen Fällen könnten einzelne Personen möglicherweise von einer psychologischen Nachbetreuung profitieren, mit ähnlichen therapeutischen Zielen wie bei Patienten mit einer PTBS [6,43], und gerade auch, da jüngste Studien gezeigt haben, dass NTE-Erinnerung selbst-definierend sind und einen wichtigen Teil der Identität von NTErlebenden darstellen [48]. Erstaunlicherweise und obwohl NTE populärerweise mit religiösen Konzepten assoziiert werden, hat unsere Analyse keine religiösen Wörter identifizieren können. Frühere Arbeiten haben religiöse Elemente als Kernkonzept identifiziert, die in der Greyson NTE-Skala enthalten sind (das heisst, einer mystischen Präsenz zu begegnen oder verstorbenen oder religiösen Geistern zu begegnen, Posten 14-15) [8,9]. Die gleichen Autoren haben auch transzendentale oder paranormale Themen (wie zum Beispiel Engel, Gott, Kirche, schweben, Stimme) extrahiert in ihrem quantitativ-semantischen Analyse-Paradigma. Eine kürzlich in Sri Lanka durchgeführte Studie mit hospitalisierten Personen zeigte, dass unter denjenigen, die von einer Nahtoderfahrung berichteten, die Patienten theistischer Religionen (d.h. Christentum, Islam und Hinduismus) häufiger vertreten waren als Angehörige nicht-theistischer religiöser Gruppen (d.h. Buddhismus) [49]. Andererseits gelang es einem anderen Forschungsteam aus den Niederlanden [3] nicht, eine Verbindung zwischen Religiosität und dem Auftreten von NTE aufzuzeigen. Der kulturelle Hintergrund der Personen, die ein NTE durchlebten, ist eine wichtige Variable, der Rechnung getragen werden sollte in weiteren Studien, besonders mittels quantitativer, automatisierter und qualitativer Textanalyse, um unser Verständnis des NTE-Phänomens rund um die Welt zu vergrössern.
Das zweite Ziel unserer Untersuchung war, die räumlichen Korrelationen oder statistischen Verbindungsstärken (das heisst, die hierarchischen Clusterungen via Dendrogramm, Abb 3) zwischen den am häufigsten berichteten NTE-Merkmalen zu visualisieren. Hierarchische Clusterung ist weit verbreitet und ein beliebtes Werkzeug in der Statistik und im Textmining, um Daten in «Clustern» zu gruppieren und damit Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zwischen Erzählungen zu identifizieren [28]. Das Dendrogramm zeigt drei Hauptcluster von Wörtern. Das heisst, visuelle Wahrnehmungsmerkmale (wie zum Beispiel sehen, Licht, weiss; erster Cluster) scheinen enger verknüpft mit positiven Emotionen (z.B. gut, Liebe) als mit räumlichen Komponenten (z.B. Tunnel, Bett, Raum) und auch visuell verknüpften Wörtern (z.B. Tunnel, Augen) des zweiten Clusters. Es kann beobachtet werden, dass die emotionale Grundstimmung des zweiten Clusters weniger positiv scheint (z.B. schwarz, Angst, Tod)
Je nach räumlicher Anordnung können wir beobachten, dass die «positiv getönten» Wörter viel weiter weg von den weniger positiven Wörtern stehen. Man könnte also spekulieren, dass, obwohl die Erfahrung im grossen Ganzen als beglückend beschrieben wird, manche Teile von ihr doch weniger positiv sein könnten [18,50]. Wie bereits oben erwähnt, ist diese Erkenntnis wichtig, weil bis jetzt die Literatur über negative NTE ein kaum erforschtes Gebiet ist.
Schliesslich sollten einige methodische Einschränkungen diskutiert werden. Erstens, weil die Teilnehmenden in dieser retrospektiven Studie alles Personen mit einem selbst-berichteten NTE waren, und sie aufgrund der Datenerhebung in dieser Studie geübt im Umgang mit Computern sein mussten, könnte dies eine Quelle für potenzielle Selektionsverzerrung darstellen. Die Stichprobe war vermutlich nicht repräsentativ für die breitere Population mit einem NTE, da sie Personen mit einem Zugang zu einem Computer bevorzugte und einen gewissen Level an schriftlicher Ausdrucksfähigkeit verlangte. Um dieses mögliche Problem anzugehen, könnten neue Anwendungen von Textmining-Techniken – zum Beispiel Spracherkennung, welche die Worte des Patienten automatisch in die schriftliche Form übersetzten – einen zusätzlichen Nutzen sowohl für die Patienten wie auch für die Forschenden bringen. Durch die Nutzung von Spracherkennungstechniken wären potenzielle NTErlebende in der Lage, einfach über ihr NTE zu sprechen, anstatt es niederschreiben zu müssen. Gleichzeitig könnten auch die Daten in Bezug auf non-verbale Kommunikation, Gesten und Gefühle wichtig sein für unser Ziel, eine umfassendere Charakterisierung von NTE zu erreichen. Zweitens mag die nachträgliche Rekrutierung von selbstberichteten NTE nicht zu einer verlässlichen Stichprobe führen, da die Teilnehmenden ein grösseres Interesse an und mehr Wissen über NTEs haben könnten. Zusätzlich zur möglichen Stichprobenverzerrung verbunden mit der Rekrutierung von medizinisch unkontrollierten NTE, lag die Zeitspanne zwischen dem Auftreten des NTE und dem Alter zum Zeitpunkt der Studienanwerbung bei mehreren Jahrzehnten, gleich wie auch bei anderen retrospektiven Umfragen [10,15]. Das retrospektive Design könnte auch zu Erinnerungsverzerrungen führen, obwohl Greyson [51] herausfand, dass die Erinnerungen von NTE über die Zeit beständig gleich blieben, sogar noch nach zwei Jahrzehnten. Wie bei anderen retrospektiven NTE-Studien, die das subjektive Gedächtnis der Erlebenden nach vielen Jahren untersuchen, sollte daher betont werden, dass es möglich ist, dass unsere Ergebnisse sprachlicher Muster eher erinnerte Wahrnehmungen widerspiegeln als das Kerngedächtnis ihrer ursprünglichen NTE. Drittens erlaubt es der hier beschriebene benutzerunabhängige automatisierte Ansatz nicht, automatisch zum Text zurückzukehren, um die Bedeutung eines bestimmten gemeldeten Wortes zu beurteilen. Zum Beispiel unterscheidet die Computeranalyse nicht zwischen dem “Licht”, von dem bei NTE berichtet wird, und dem Licht, dass durch ein Fenster gesehen werden kann oder das von der Beleuchtung in einem Operationssaal kommt. Um dieses Problem zu lösen, könnte ein nächster Schritt sein, unsere Ergebnisse mit ergänzenden qualitativen, experimentierabhängigen Textanalysen zu hinterfragen [16–18]. Schliesslich könnte die Entscheidung, einem schriftlichen Ausdruck der NTE recht viel Freiheit zuzugestehen, zu unstrukturierten Selbstberichten geführt haben, die es nicht erlauben, die Menge der Wörter und die Konstruktion der Erzählung genügend zu kontrollieren, was zu Diskrepanzen im Inhalt der Erzählungen zwischen den Probanden geführt haben könnte. Es ist wahrscheinlich, dass einige Informationen (z.B. Emotionen und/oder bestimmte Wahrnehmungen) in ihrer Reichhaltigkeit besser hätten erfasst werden können durch eine halbdirektive Datenerhebung von NTE-Erinnerungen.
Schlussfolgerungen
Trotz der Umstände ihres Auftretens werden NTE im Allgemeinen als sehr angenehm erlebt und sie können lebensverändernde Konsequenzen auslösen im Wertesystem des Erlebenden und in seiner Haltung gegenüber dem Tod [3]. Neben dem ungenügend beschriebenen Zusammenhang zwischen NTE und den auslösenden Faktoren bleibt die Verlässlichkeit von NTE-Berichten umstritten. Die Haupterkenntnis unserer Vorstudie über eine Herangehensweise mittels Textmining ist, dass es eine klare Übereinstimmung gibt zwischen der Textanalyse und der Literatur [4,10–16]. Darüber hinaus erlaubte es der Textmining-Ansatz, eine grössere Bandbreite wichtiger Eigenschaften zwischen NTE-Erzählungen herauszuheben. Wir glauben, dass die Verwendung von Sprachverarbeitung durch die Textmining-Technik eine vielversprechende Anwendung ist, um die klinischen und phanomenologischen Informationen zu erfassen, die in unstrukturierten, frei ausgedrückten NTE-Zeugnissen enthalten sind [52]. Automatisierte Srachanalysen könnten zum Beispiel weiterhelfen, genau zwischen NTE und NTE-ähnlichen (das heisst, NTE-Phänomenologie, die nicht mit einem lebensbedrohlichen Kontext verbunden ist[4]), zu unterscheiden. Tatsächlich würde die Technik nicht nur einen Gruppenvergleich der Ätiologie, die zu einem NTE führt, erlauben, sondern auch einen Vergleich zwischen anderen veränderten oder dissoziativen Bewusstseinszuständen, in denen ähnliche Elemente vorkommen wie jene, die in NTE beschrieben werden (z.B: Einsatz von Ketamin [53], REM-Schlaf [14,54], Meditation [2], Hypnose [55], Synkopen [55]). Die Analyse könnte demgemäss die Überprüfung der Hypothese erlauben, dass NTE vergleichbar mit anderen veränderten Bewusstseinszuständen seien [57]. Ausserdem ermöglichte unsere Analyse, «weniger positive» Wörter herauszufiltern. Es wäre interessant für eine zukünftige Arbeit, unser Material mit einer Gefühlsanalyse zu bearbeiten – eine metrische Methode, die allgemein dazu verwendet wird, um die Intensität von positiven und negativen Meinungen und Gefühlen in Erzählungen zu messen (ein Beispiel dafür ist [58]). Um unseren Resultaten eine weitere Dimension hinzuzufügen, könnten wir auch Techniken anwenden, die mit der Einbettung von Wörtern arbeiten (z.B. word2vec), um die semantischen Verwandtschaften und Ähnlichkeiten der Wörter besser zu verstehen. (ein Beispiel dafür ist [59]).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die quantitativen Analyse- und Clustering-Techniken des Text-Mining-Ansatzes in dieser Vorstudie die Möglichkeit bieten, multivariates, hochgradig subjektives Rohmaterial in 2D zu visualisieren und damit einen zusätzlichen Blickwinkel auf die Ergebnisse zu geben. Ausserdem können Muster, die nicht immer von blossem Auge erkennbar sind, manchmal auch aufgrund der Objektivität des Forschenden, entdeckt werden. Zusätzlich zu den oben genannten Aspekten ermöglichen quantitative Analyse und die Open-Source-Tools die Kompatibilität mit zukünftigen Arbeiten, wenn die Kriterien/Bedingungen der jeweiligen Forschung beibehalten werden. Demzufolge kann die computerisierte Analyse komplexer menschlicher Erfahrungen über die Sprache eine Gelegenheit sein, unser Verständnis von NTE über die Verlässlichkeit von Selbsteinschätzung und Fragebogen hinaus zu objektiveren Messungen des Phänomens zu bewegen.
Zusätzliche Informationen
S1 Tabelle. Detailierte Greyson NtE-Skala.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402.s001
(PDF)
S2 Tabelle. Statistik über die 30 meistverwendeten Wörter.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402.s002
(PDF)
S1 Code. Kommentierter Code zur Durchführung der Analyse in dieser Arbeit.
Ethält ausserdem die Liste der Wörter, die keine Bedeutung haben und synonym verwendet werden.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0227402.s003
(PDF)
Danksagungen
Es ist den Autoren ein Anliegen, Jean-Pierre Jourdan von IANDS France (www.iands-france.org) und Guy Vander Linden von IANDS Flanders (www.bijnadoodervaring.be) zu danken für ihre Hilfe beim Beschaffen von NTE-Zeugnissen.
Referenzen